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Vergessene Produkte (1)

News & Stories — 06. February 2015
by Matthias Kanter
Leicht verführen uns die übervollen Spielzeugläden zu dem Gefühl, dass alles verfügbar ist.

Scheinbar hat das freie Spiel der Marktkräfte die Ideen aller Zeiten gut ausgesiebt und der "beste" Hersteller hat auch den größten Erfolg. Playmobil oder Lego unterstützen mit ihrem globalen Erfolg dieses Gefühl und profitieren nicht unverdient von einer weltweiten Verbreitung. Wenn dann doch einmal eine Meldung dieses Urvertrauen in den Markt erschüttert, beruhigen wir uns mit persönlichen Fehlern der Verantwortlichen. Meist finden Ikonen wie Märklin oder Brio ja dann auch irgendwie neue Investoren.

Nun muss man nicht tief mit den aktuellen Marktmechanismen vertraut sein, um Fehler im System zu finden. Kleine Hersteller mit außerordentlichen Produkten können beispielsweise gar nicht die erforderliche Stückzahlen für den weltweiten Großhandel liefern und schon gar nicht ähnliche Marketingbudgets wuppen. Manche Produkte haben einen minimalen Erklärungsbedarf, den nur der kultivierte und informierte Facheinzelhandel leisten kann.

Dass selbst hier die ausgebildete Verkäuferin kompliziertere Produkte gern tiefer im Regal versteckt, um nicht "vorspielen" zu müssen, kann man sich leicht vorstellen. Klar ist auch, dass dieser Fachhandel nicht überall mehr ähnlich verbreitet ist, wie Berlin Mitte glauben lässt. So könnte man viele Gründe finden, die zumindest einen genaueren Blick auf Angebot und Qualität empfehlen.

Nun möchte ich hier bekannte Aspekte wie giftige Stoffe in Kinderspielwaren unberührt lassen und mich auf zwei vergessene Spiele beispielhaft konzentrieren.

Brio aus Schweden ist einer der großen Traditionshersteller der europäischen Spielwarenkultur. Die kleine Holzeisenbahn ist immer wieder, in ihrer Qualität unerreicht, kopiert worden und ein echter Evergreen in den Kinderzimmern der Welt. Um nicht als altmodisch abgeschlagen zu werden, hat man sich auch elektrischen und elektronischen Neuerungen nie verweigert und doch einen Konkurs vor einiger Zeit nicht abwenden können. Schaut man in frühe Kataloge der Firma, bemerkt man, dass einst Geschicklichkeitsspiele für alle Generationen Teil der Produktpalette waren. Solch ein Spiel fiel mir vor Jahren auf einem Flohmarkt in die Hände.

Auf einer einfachen Konstruktion benötigt man die Feinmotorik eines Kranführers, um mit zwei Metallstangen eine große Stahlkugel so in Schwung zu bringen, dass sie möglichst weit rollt. Fehlt einem dieses Feingefühl, rutscht die Kugel durch und erzeugt auch Negativpunkte.


Nun ist dieses Spiel seit gefühlt 8 Jahren mindestens 4x pro Woche in verschieden Konstellationen in unsere Familie in Benutzung.

Kinder spielen allein. Kinder spielen gegen andere Kinder. Erwachsene spielen allein und Kinder spielen gegen Erwachsene. Es entsteht schnell eine Dynamik, die zu längeren Turnieren führt. Man kann seine Leistungen durch üben verbessern, aber es gibt absolut keine Überlegenheit von Erwachsenen oder älteren Kindern über die Kleinen.

Das ist natürlich eine besondere Qualität, die besonders die Kleinen schätzen, weshalb sie auch immer wieder mit dem Spiel angerückt kommen.  Talente mit besonderen motorischen Fähigkeiten gibt es in jeder Generation und sie fallen sofort auf. Trotzdem können sich die anderen auch an deren Ergebnisse herantrainieren. Das Spiel solide herzustellen, würde nach unseren Erfahrungen auch heute keinen Preis weit über 40 Euro im Spielzeugladen erwarten lassen. Es scheint unzerstörbar und man wüsste kein Argument, warum nicht auch in hundert Jahren Menschen noch Spaß an diesem Spiel haben sollten.

Bis zu diesen Zeilen habe ich nicht recherchiert, seit wann Brio das Spiel nicht mehr herstellt und ob die Rechte verfügbar wären. Allein dass ein solches Spiel niemand mehr kennt und es einst von einem Marktführer hergestellt wurde, wirft Fragen auf.

Ein anderes meistbenutztes Spiel meiner Kinder und Gäste ist ein Entwurf von Kurt Naef. Mit seinen Klettermännern hat er eine traditionelle Idee in typischer Naefqualität umgesetzt und mit zwei stabilen Fäden gibt es viele Varianten, die zwei Figuren zur Zimmerdecke klettern zu lassen.


Bei uns hängen die Klettermänner seit 10 Jahren neben dem Küchentisch. Immer wieder greift jemand gedankenverloren oder konzentriert zu den roten Kugeln am Ende der Schnüre und das Spiel beginnt. Feinmotorik ist auch hier das Erfolgsgeheimnis, um Varianten des Aufstiegs zu realisieren. Hier spielt man allein und auch ohne jede Übung gibt es schon ein kleines Erfolgserlebnis. Das Spiel hat vor der Einstellung seiner Produktion gut 20 Euro gekostet und würde vielleicht heute im Bereich von ca. 35 Euro liegen. Die Ausführungsqualität ist überragend und nichts deutet darauf hin, dass noch Generationen daran Spaß haben könnten. Man muss es nicht wegräumen und manchmal hängt es einfach unbeachtet für Tage in der Küche. Es dauert aber nie lange, dass zwei Hände nicht widerstehen können.


Formost versteht sich auch als Reparaturbrigade. Alles Jammern über vergessene Kultur lässt sich nur durch Erinnern korrigieren. Der nächste Schritt ist jeder Versuch, durch Neuauflage und Vertrieb einen Beitrag zu leisten, dass Gutes wieder die Kinder erreicht. Der Käufer kann diese Bemühungen natürlich unterstützen und manchmal braucht es nur 100 Vorbestellungen, um einen Hersteller zu überreden, ein Produkt wieder aufzulegen. Laßt es uns gemeinsam versuchen!

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